Mit den Augen des Lebens schauen lernen
Die Philosophen des Mittelalters unterschieden drei Arten von Schauen mit den drei Augen der Erkenntnis. Das Wahrnehmen des äusseren Lichtes (lumen exterius) mit den körperlichen Augen und damit das Sehen der physikalischen Welt, der mit den Sinnen erfassbaren Objekte und der Materie.
Das mentale Auge, das mit dem inneren Licht (lumen interius) hineinschaut und die Wahrheiten des Verstandes, des Geistes und des Wissens erkennt. Und das Auge der Kontemplation, welches mit dem transzendenten Licht (lumen superior) die letzte Wirklichkeit, den Urgrund allen Seins, schaut. Das, was wir sehen, erscheint uns als die einzig wahre Wirklichkeit (tonal). Erlauben wir uns, dies zu hinterfragen und bezeichnen wir dies, nur als die durch uns subjektiv wahrgenommene Oberfläche der wahren Wirklichkeit, so sind wir bestrebt weiter oder tiefer zu suchen, um das Leben zu erkennen und verstehen zu lernen.
Wenn du verstehst, bist du mit der Familie vereint;
Wenn du nicht verstehst, bist du ein Fremder
Die nicht verstehen, sind mit der Familie vereint,
und wenn sie verstehen, sind sie Fremde
Zen-Meister Ekai (Mumon)
Zu lernen in die Tiefe zu schauen, zu erkennen und sich berühren zu lassen, ist der Weg des bewussten Lebens. Neben dem analytischen Sehen, lernen wir nicht fokussierend zu schauen, um das Leben aus seiner Tiefe heraus zu erfassen und zu erfahren. Im Bewusstseinskontinuum können wir alle Details des Lebens erkennen und deren Wirkung auf unser heutiges Leben erahnen.
Können wir in der Art in der Welt sein, dass sowohl die Oberfläche des Lebens, als auch dessen Tiefen uns stets bewusst sind, können wir lernen mit und aus diesem Bewusstseinskontinuum achtsam zu leben. Wir verbinden beide Sichtweisen und erkennen den gemeinsamen Wesensgrund und das Leben als Ganzes — mit all seinen Details. Unsere Sinne sind die Fenster der Seele um in das Leben zu schauen: Sie sind die "Augen des Lebens", die auch die Fähigkeit haben den Urgrund sowohl unserer als auch aller Existenz zu erkennen. Durch ein kontemplatives Schauen, ein nichturteilendes, einfach registrierendes Erkennen, können wir die Quelle allen Seins erkennen und daraus hingebungsvoll unser Leben wertschätzen und achtsam verwirklichen. Dies führt uns zum 'bewussten Handeln, 'rechten Denken' und 'achtsamen Ausdrücken' — wesentliche Postulate der Lebensschule.
Die Lebensschule geht von zwei Lernbereichen, dem Bereich der äusseren und dem der inneren Welt aus, die miteinander in Wechselwirkung stehen. Der äussere Bereich kann uns ein Spiegel des Inneren sein, während wir mit Hilfe des Inneren uns in der äusseren Welt zentriert bewegen können. Wenn wir uns vom Leben berühren lassen, lernen wir das Leben zu verstehen und begreifen dessen Sinn. Aus der Lebenserfahrung erreichen wir Bewusstheit über unser Leben und öffnen uns den Lebensweisheiten.
Sich dem Prinzip der Veränderung anzuvertrauen bedeutet, den Tod und das Sterben ebenso zu bejahen wie das Leben. Die Vergänglichkeit gehört zu unserem Leben:
"Das einzig Beständige im Leben ist die Veränderung"
Weltliches Leben (äussere Welt) und spirituelles Leben (innere Welt) sind keine getrennten Welten. Die Lebensschule spricht diesbezüglich von 'gelebter Spiritualität' und versteht darin die Integration von ethischen Werten in den Alltag. Weg der Achtsamkeit ist ein hilfreicher Pfad der Lebenschule. Durch Achtsamkeit auf Körper, Gefühl, Geist, Denken und Handeln erfahren wir das Leben als Wirkung auf unser Tun. Ist unser Verhalten geleitet von der Kraft der Liebe, ist ein erfülltes friedfertiges Leben möglich. Leider stehen oft unsere unbewussten Prägungsmuster, unsere selbstschützenden Lebensskripts und unsere überzeugenden Konzepte dem Wirken aus dem Herzensbewusstsein im Wege.
Durch Wahrnehmen unseres Atems, dessen Auswirkung und der Fähigkeit, auch nach Innen zu schauen, werden wir unseres Selbst gewahr und finden Antworten auf die Frage "Wer bin ich?". Mit deren Erkenntnis in der Welt zu sein, in der Welt achtsam und bewusst zu leben, sind die Ziele einer Lebensschule.
In der Lebensschule lernt man auch den Zusammenhang von Erwartung und Enttäuschung zu begreifen. Anstatt Erwartungen zu erfüllen, lernt man mit Erwartungen umzugehen, eigene Erwartungen loszulassen und sich und die Wahrheit im gegenwärtigen Moment zu Bejahen: "So ist es." Eine positive Affirmation hierfür ist das sogenannte "Gestaltgebet".
Die Lebensschule bevorzugt achtsam in Prozessen zu denken und zu handeln. Das Ziel ist es, möglichst jeden Prozess abzuschliessen und der Schattenkräfte der Trägheit und Bequemlichkeit nicht nachzugeben. Dies ist ein Teil gesunder Psychohygiene und führt zu stressfreiem Leben.
Erlernen von Geduld ist neben Mitgefühl eine weitere Herausforderung des bewusst gelebten Lebens.
Drei Dinge habe ich zu lernen:
Einfachheit, Geduld und Mitgefühl.
Dies sind unsere grössten Schätze.
Einfach im Handeln und im Denken,
kehrst du zum Ursprung des Seins zurück.
Geduldig mit Freund und Feind,
bist du eins mit den Dingen, wie sie sind.
Mitfühlend mit dir selbst,
versöhnst du dich mit allen Wesen dieser Welt
Tao te King