Leben und Sterben
Sterben gehört ebenso zum Leben wie Geborenwerden. Das tibetische Lebensrad zeigt dies im äusseren Ring mit seinen 12 Elementen. Das zwölfte Segment entspricht der Phase von Alter und Tod im weltlichen Leben.
Erwachen wir aus der Verblendung und Unwissenheit und lernen mit allen Phasen des Lebens bewusst umzugehen, ist uns der Tod stets ebenso bewusst wie das Leben. Wir werden uns unserer Vergänglichkeit bewusst und lernen mit Veränderungen umzugehen, denn wir können nichts festhalten. Unsere Achtsamkeit bleibt auf das bewusste Wahrnehmen des gegenwärtigen Lebens gerichtet ohne weitere Aspekte zu vergessen.Wir leben im Licht und sind uns gleichzeitig dessen Schattenfähigkeiten bewusst. Dies führt uns zu einem bewussten, achtsamen und klar handelnden Leben, das mit Liebe und Dankbarkeit erfüllt ist.
Tod und Sterben ist nicht nur das Ereignis, welches das menschliche Ende betrifft, sondern auch ein Symbol für Transformation. Es ist eine Metapher für die tiefgreifendste und vollständigste Wandlung, der sich Bewusstsein und Identität unterziehen kann. Durch das Loslassen — eine Form des Sterbens — stirbt etwas und es entsteht etwas Neues. Es können Erwartungen, Vorstellungen, Lebensziele, Selbstbilder und Selbstkonzepte sein, die aufhören weiterzubestehen. Wir empfinden dies, als ob etwas stirbt — die Identität mit der wir gelebt haben. Das Neue ist gerade erst dadurch möglich und im Neusein auch unbekannt und fremd. Die Metamorphose ist eine Art Wiedergeburt: die Geburt in neue Formen und Reiche. Das Neue kann uns neben der Neugierde auch Angst machen. Schon J. W. v. Goethe erkannte dies:
Und solange du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
auf der dunklen Erde
(J. W. v. Goethe)
Erfahrungen im Sterben bedeutet soviel, wie Erfahrungen mit Loslassen und Veränderungen besitzen. Je mehr wir unser Bewusstsein erhalten konnten und viele kleine Tode erlebt haben, um so weniger Angst haben wir vor dem endgültigen Loslassen.
"Ich starb als Mineral und wurde Pflanze.
Ich starb als Pflanze und erhob mich als Tier
Ich starb als Tier und ich war ein Mensch
Warum sollte ich mich fürchten?
Wann wurde ich geringeres durch Sterben?
Noch einmal mehr, und ich sterbe als Mensch."
(Rumi)
Der Sufismus drückt dies ähnlich aus:
"Wenn du stirbst bevor du stirbst, stirbst du nicht, wenn du stirbst!"
(Sufismus)